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Felsentrolle

Der Tischlerseppel lag auf dem Bauch im Staub auf einem kleinen Hügel. Neben ihm lag der Held Ullo, der die letzten zwei Tage mit ihm gewandert war. Seit dem Treffen mit dem Förster seines Heimatdorfes war nun schon ein halber Mond vergangen.

Was war inzwischen passiert? Nun, der Tischlerseppel wanderte langsam weiter in die Waldberge hinein, immer auf der Suche nach Freunden oder Drachen. Aber lieber eben doch erst nach Freunden, weil er schon Unterstützung haben wollte beim Drachenfangen.

Inzwischen hätte er auch Trolle akzeptiert oder die vorlauten Zwerge, aber er traf niemand anderen.

Was natürlich auch daran lag, dass er immer wieder seine Gedanken kreisen ließ, wie er es so gerne hatte und gar nicht darauf achtete, wer da sonst noch unterwegs war. Einmal saß sogar der Magier am Wegesrand und winkte dem Tischlerseppel heftig zu, aber der dachte wieder darüber nach, wie man den berühmten Astronomen Ceplerius reinlegen könnte. Damit war er so beschäftigt, dass er alles andere übersah.

Das Schlechte am Wandern ist, dass man nicht mehr im Kreise denken kann. Wenn man geht, dann geht es auch mit den Gedanken voran, sie entwickeln sich weiter und finden schnell Ziele und Ergebnisse. Noch dazu schöpfte man aus dem, was man sah, Ideen für Lösungen zu Problemen, über die man nachdachte.

So überraschend das für unsereins sein mag, dies war etwas, das dem Tischlerseppel gar nicht gefiel. Im Kreis denken war viel schöner, dabei konnte er sich aufregen über die Ungerechtigkeit der Welt, konnte allen anderen die Schuld geben, konnte sich selbst Recht geben (weil es sonst ja nie jemand tat) und er konnte sich vormachen, es gäbe keine Lösungen für Dinge, die sich nach einigen Schritten oft von selbst lösten.

Also setzte er sich lieber auf einen Stein, ins Gras unter eine Eiche oder auch auf einen umgestürzten Stamm und lies seine Gedanken kreisen, wie wir das schon so oft erlebt haben. Immer wieder das gleiche und immer ohne ein Ergebnis zu finden. Das fand er toll.

So vergingen seine Tage auf der Wanderschaft: morgens aufwachen, erschrecken über den Traum der letzten Nacht, wobei er den, in dem er ein Sternenkrieger mit einem schnellen Raumschiff war, überhaupt nicht verstand, denn das war ja unmöglich! Und wenn Pia im Traum schimpfte oder weglief, das war auch nicht schön. Aber am schlimmsten waren die Alpträume über Drachen, wütende Magier oder den bösen Drehorgelspieler, der auf seinen Affen einschlug, der ein Gesicht fast wie der Tischlerseppel hatte.

Nach dem Aufwachen und dem Frühstück wanderte der Tischlerseppel los, bis er merkte, dass ihn die Bewegung beim Gedankenkreisen störte und er sich hinsetzte zur ersten Rast. Übrigens Frühstück und Rasten. Mancher mag sich fragen, was denn der Tischlerseppel aß auf seiner Reise. Nun, seltsamerweise stand ihm nach dem Treffen mit dem Förster der Sinn nur nach Speck und altem Brot, und irgendwie hatte er geträumt, er müsse viel zu viel davon essen. Und wenn er in seinen Sack schaute, dann fand er auch immer wieder etwas Brot und Speck darin. Was er nicht wusste war, dass der Magier seinen Reisesack verzaubert hatte und der immer das Essen hergeben würde, dass sich der Tischlerseppel am meisten wünschte.

Und wir wissen ja auch schon, wie das mit den Wünschen des Tischlerseppel ist: anstatt sich Braten und ein anständiges Bier oder einen Heurigen zu wünschen, dachte er immer nur an Speck und altes Brot, und das war es denn auch, was ihm der magisch verzauberte Reisesack gab.

Bei so einer Rast dachte der Tischlerseppel dann eine Weile, so etwa zwei oder drei Stunden über seine Lieblingsgedanken nach, die wir kurz mal aufzählen wollen: An erster Stelle stand die Sache mit den Pferden, die angeblich Heu fressen, an zweiter Stelle die Sache, dass Reibung Hitze erzeugen sollte, dann die blöde Behauptung, dass Drachen nicht nur mit den Flügeln, sondern auch mit ihrem Feuerstrahle fliegen und sogar landen können.

Und wenn man jeden Tag nur zwei oder drei Stunden durch einen bergigen Wald wandert, dann kommt man eben nicht so recht voran.

Den Helden Ullo traf der Tischlerseppel auch nur, weil er gerade eine Pause beenden wollte und sich vor dem Weiterwandern tatsächlich noch einmal umschaute.

Da stand Ullo, nur fünf Meter vor ihm und redete mit ihm, schrie ihn an, als würde er schon viele Minuten auf ihn einreden. Komisch, dachte der Tischlerseppel. Warum reden die Menschen eigentlich immer mit mir, wenn ich gerade nachdenke? Das geht doch nicht, ich kann doch nicht auch noch anderen zuhören, wenn ich gerade selbst so gute Gedanken habe.

"Wer bist Du?" fragte der Tischlerseppel neugierig.

"Na, ich bin der Held Ullo. Siehst Du nicht das Wappen auf meinem Schilde? Kennst Du nicht das stolze Geschlecht derer von Trettenstein, dessen Wappen Du vor Dir siehst?"

"Wenigstens gehörst Du nicht zu den billigen Kreuzerbuben, die ihren Namen nicht nennen mögen. Möchtest Du mein Freund sein und mit mir Drachen fangen?"

Da rollte sich der Held Ullo vor Lachen auf dem Boden und brauchte erst einige Minuten, bis er wieder normal sprechen konnte.

Nein der Held Ullo wollte ganz bestimmt nicht sein Freund sein, aber ihn zu den Trollen und Zwergen führen, dass wollte er wohl. Und er führte den Tischlerseppel zu diesem Hügel, von dem aus man regelmäßig Trolle beobachten konnte.

"Man nennt diesen Hügel >Das Phau<" begann Ullo seine Erklärungen. "Hier treffen sich regelmäßig Trolle. Und nebenan der Hügel heißt >Der Alte Sock - Uffo<, ein genauso bescheuerter Name, aber auch ein guter Treffpunkt für Trolle."

"Schau genau hin!" sprach Ullo weiter. "In der Mitte sitzt das Felsentroll Dowuck, man weiß nicht so recht, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist. Es liebt es, Fragen zu stellen, also sei vorsichtig, und gib ihm keine Gelegenheit, Dich etwas zu fragen. Außerdem zeig ihm niemals ein Bild, es wird sofort anfangen, endlos darüber zu reden."

"Wofür ist das gut?" fragte der Tischlerseppel leise. Doch das gute Ohr des Dowuck hatte die Frage gehört und machte begeistert weiter.

"Wofür ist das gut? Wann fängt es an gut zu sein? Warum ist es gut? Wie viele gute Menschen gibt es auf der Welt? Wie heißen all diese guten Menschen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren? In welchen Häusern wohnen die? Warum ...."

"Niemand weiß, wofür das gut ist." antwortete der Held Ullo. "Darum wird so ein Blödsinn ja auch von Trollen gemacht und nicht von normalen Menschen. Schau jetzt nach links. Da sitzt Lorehanne, das ist ein Schimpftroll. Von ihr bekommt man nur Informationen, wenn man endlose Beschimpfungen aushalten kann."

"Und der Troll ganz rechts?"

"Ja, ganz rechts, das ist John Mallo." erklärte Ullo. Und wenn man genau hinsah, merkte man, dass er leicht erschauerte. "Der hat ein paar seltsame Eigenheiten. So lässt er sich von allem ablenken, was ihm erzählt wird ..."

Heh, das klingt doch vernünftig, dachte der Tischlerseppel.

"... und er packt in seine Sprache viele unnötige und sinnlose Sätze hinein, zwischen denen er das wenige versteckt, was er eigentlich sagen will ..."

Ah, das ist ein guter Trick fürs Gedankenkreisen, fiel dem Tischlerseppel sofort ein.

"... und das schlimmste ist, es ist ganz egal, was Du ihm sagst, er wird es nicht verstehen."

"Warum ist das den schlimm?" fragte der Tischlerseppel, aber da unten wurde das Dowuck zwischen der 36. und 37. Frage unterbrochen von der lauten keifenden Stimme der Trollin Lorehanne:

"Jetzt machst Du Dich mal wieder selbst zum Trottel. Hast Du denn gar nicht verstanden, was ich Dir eben gesagt habe? Wie soll das gehen. Du hast keine Antworten, sondern nur Schwachsinn, und jetzt behautest Du auch noch, man wüsste, wie alt ein guter Mensch ist. Du bist ein Individuum, mit dem ich nicht weiter rekreieren möchte." keifte Lorehanne laut gegen das Gezwitscher der Vögel an.

"Du irrst. Naja wiehaltimmer." das war nun John Mallo. "Bist Du leicht ein hirnloser Hirni? Das versteh ich kaum, und ich bin doch nur ein Mensch. Rekreieren? Was ist denn dass. Wer weiß es wer weiß es. Hast Du das schon gewusst? Dreimal darfst Du raten."

"Weißt Du eigentlich, dass Du ein begrenztes und psychisch retardiertes Individuum bist?" keifte nun wieder die Lorehanne ohne sich darum zu kümmern, dass solche Sprache zu dieser Zeit noch gar nicht üblich war. "Wer reagiert schon auf Dich. Ich wiederhole es noch einmal: Du bist für mich eine Null!" Und so weiter und so weiter.

"Oh, je" der Held Ullo hielt sich die Ohren zu. "Das hält man ja gar nicht aus. So ein Schwachsinn. Aber so sind Trolle nun mal, sie sagen immer nur Schwachsinn.

"Aber warum denn? Die hören sich doch ganz vernünftig an." freute sich der Tischlerseppel und ohne Abschied lief der den Hügel hinab zu den Trollen. Denen wollte er sich anpassen und dann würde er schon Freunde unter ihnen finden, vielleicht sogar die drei da unten?

"Merkwürdiger Mensch" dachte der Held Ullo. "Nun ja, er wird wohl nie merken, was er sich mit den Trollen einhandelt. Er freute sich jedenfalls, den Tischlerseppel wieder los zu sein und machte sich voller Freude auf zu einem Treffen mit dem lustigen Ritter Bruhaha. Beim dem war es gut. Der hatte viele gute Ideen, wie er solchen dummen Trollen kurz und knapp und auf lustige Weise die Wahrheit sagen konnte.

Ullo griff noch in die Tasche und holte das kleine Buch hervor, warf es dem Tischlerseppel hinterher. "Hier, für Dich, vom Zauberer!" rief er ihm laut hinterher, dann wandte er sich ab und zog seiner Wege.

Der Tischlerseppel jedoch setzte sich zu den drei Trollen. Und er fühlte sich glücklich, wenn die Lorehanne auf ihn einschimpfte ob er denn nicht etwas anderes im Rucksack habe als nur Speck und altes Brot und er hörte sich einen endlosen Vortrag vom Dowuck an, als er ganz kurz ein Bild von seiner Pia erwähnte.

Aber am besten von allen war John Mallo. Der redete und redete und redete und hörte gar nicht wieder auf. Und es kam überhaupt gar nichts dabei heraus, genau wie beim Tischlerseppel, wenn er nachdachte.

Und der John Mallo kannte so viele Sprüche, die man in sein Gespräch einbauen konnte! Damit konnte man so herrlich lange reden, obwohl man gar nichts zu sagen wusste. Aber John Mallo konnte noch viel mehr! Und der Tischlerseppel lauschte begeistert seinen Ratschlägen:

"Ich weiß es, ich weiß es! Kennst' di aus? Ja, natürlich, selbstverständlich! Gib niemals einen Fehler zu. Hast Du wohl noch nicht gewusst, gell? Ja, das stimmt. Hast Du das noch nicht bemerkt? Wenn Du einen Fehler gemacht hast, dann sage, Du hast es vorher gewusst und hast diesen Test nur als Köder gemacht. Das glauben alle! Freust du dich jetzt? Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied! Ja, das stimmt. Da staunst Du wieder, gell?"

Oder (während Lorehanne mal wieder schimpfte und das Dowuck 50 Fragen nach Fehlern, Unterschieden und Ködern stellte): "Naja, Wiehaltimmer! Jeder anständige Mensch heißt John! Logik ist ganz einfach. Das wissen nur Menschen mit einem Hirn im Kopf! Nicht dass ich neugierig wäre, ich möcht's nur gern' wissen? Das ist das, was DU glaubst! Es geht mit wenn und dann. Da staunst Du wieder, gell? Sei ruhig Du vorlauter Fratz, und lass das Dowuck antworten! Wenn eines ist, dann ist auch das andere. Nimm ein Baldrian und eine Kerze und zieh das Nachthemd an. Das versteh' nicht mal ich, und bin ein Troll! Aber Du musst Dich nie festlegen, wenn das eine nicht ist, dann kannst Du behaupten, es wäre das andere. Kennst' di aus? Und dann sagt einer, es ist das andere und Du kannst sagen, dass dann am einen was nicht stimmt. Leise in Dein Ohr geflüstert: noch niemand hat gemerkt, dass man damit alles behaupten kann und morgen wieder umdrehen kann und du musst nie drüber nachdenken oder Dir die Mühe machen, es zu verstehen. Freust du dich jetzt? Ja, natürlich, selbstverständlich!"

Der Tischlerseppel staunte nicht schlecht. So eine elegante Rede und er hatte eigentlich nur verstanden, dass es richtig war, heute dies zu sagen und morgen das.

Hier fühlte sich der Tischlerseppel geborgen und blieb. Die drei Trolle würden ihn auf seinem weiteren Weg begleiten.

John Mallo hatte ihm schon versichert, dass er sich mit Drachen sehr gut auskenne.

Als es Abend wurde, Zeit zum Schlafen und Träumen, da ging der Tischlerseppel noch einmal den Berg hinan, weil ihn ein Harndrang quälte. Und als er sich in einen Busch erleichterte, da bemerkte er das Buch, das ihm der Ullo hinterher geworfen hatte.

Es war ein wenig feucht geworden, aber er nahm es doch mit, legte sich auf Lager neben dem Feuer und schlug es auf.

Der Titel erschreckte ihn: "Die Lebensweisheiten des Seppel." hieß es.

Schnell las er das Vorwort:

"Viele Menschen nutzen nur selten die Gelegenheit, über ihr Leben nachzudenken. Der Seppel soll wenigstens einmal, ein einziges Mal sehen können, wohin sein Lebensweg führt, weil er von selbst nie auf die Idee käme, darüber nachzudenken. Wir werden in diesem Buch die Regeln, nach denen der Seppel lebt, aufzeigen und zwar aus der Sicht eines Seppel-Engelchen und eines Seppel-Teufelchen. Diese beiden werden erzählen, wohin sie das Leben mit den Regeln, die der Seppel sich gesetzt hat, gebracht hat. Möge es dem Leser zur Erbauung dienen und dazu, ein besseres Leben zu lesen."

Aha, dachte der Seppel. Er blätterte weiter:

"Erstes Kapitel: Wie Du mir, so ich Dir."

Doch: Lesen war schwer und mühsam. Dem Seppel fielen die Augen zu und er schlief ein. Wollen wir hoffen, dass das Buch nicht ins Lagerfeuer fällt, damit wir im nächsten Teil des Märchens weiter darin lesen können.

Diese Nacht träumte der Seppel einen fröhlichen Traum: als Troll anerkannt unter den Trollen.

 
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