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Semmeln und Freunde
oder:
 Wie man Brot einkauft und Freunde findet und sie auch wieder verliert

Zwei Sonnenstrahlen eilten durch das unendliche Weltall. Es waren Hitzi und Flitzi, entstanden nebeneinander an der gleichen Stelle der Sonnenoberfläche zweihundert Meilen neben einem gewaltig großen Sonnenflecken und jetzt auf parallelem (nun ja, fast parallelem) Weg zur Erde.
"Schau, da unten liegt der Tischlerseppel und schläft." sagte Hitzi, während sie an einem kleinen dunkelblauen Asteroiden vorbeisauste.

"Ja, wir werden ihn wohl genau treffen." freute sich Flitzi.

"Richtig, und ich treffe genau auf seine Nase." schätzte Hitzi und schaute kurz nach rechts zum Mond.

"Nein, ich!" konnte Flitzi gerade noch richtig stellen, dann kitzelte er den Tischlerseppel auch schon an der Nasenspitze, während Hitzi die Augenbrauen knapp verfehlte und auf einem mittelgroßen Pickel landete.

Von den ersten Sonnenstrahlen des jungen frühen Morgens wachgekitzelt wachte der Tischlerseppel mit einem gewaltigen Nieser auf.

Diesmal war er im Traum ein tapferer Sternenkrieger gewesen, der ein schnelles Raumschiff steuerte und viele Abenteuer bestand. Aber diese Geschichte soll ein andermal erzählt werden, weil sie dieses Märchen nicht so recht weiter bringt. Manchmal träumt man eben Dinge, die gar nichts zu tun haben mit dem, was einen gerade beschäftigt und manchmal träumt man von Dingen, die es niemals geben wird.

Der Seppel schaute sich um: er war allein auf einer sonnigen Lichtung mitten im Wald und etwa einen halben Tagesweg von seinem Dorf entfernt. Er kannte diesen Teil des Waldes von seinen Streifzügen und den Gelegenheiten, zu denen er einen Tisch oder eine Bank machen sollte und dafür einen passenden Baum fällen musste.

Aber weiter war er noch nie gekommen, als bis zu dieser Lichtung. Dahinter war der unbekannte Wald, in dem es auch Drachen geben sollte. Ach ja, er sollte ja drei Drachen fangen. Er schaute sich um. Und er stellte fest: er war ALLEIN! Der Magier war weg, verschwunden, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Der hätte ihm doch noch sagen sollen, was er nun zu tun habe.

Der Tischlerseppel mochte Magier eigentlich gar nicht. Er wusste, dass die meisten Magier eigentlich nicht wirklich zaubern konnten, sondern einfach nur sehr kluge Menschen waren, die so schnell im Denken waren, dass dem Tischlerseppel immer ganz schwurbelig wurde und er sich dann ärgerte, dass er sie gar nicht überprüfen konnte. Beispielsweise beim Rechnen. Das mochte der Tischlerseppel auch nicht. Wenn seine Pia ihn zum Bäcker schickte, um Semmeln zu holen, sagen wir, 6 Stück, dann machte sich der Tischlerseppel immer erst einmal ein schönes Stück Holz, so ein kleines Rechteck oder Quadrat, etwa 1 Zoll dick und etwa 1 Fuß an den Seiten.

Damit ging er zum Bäcker und fragte nach dem Preis einer Semmel. Den Preis schnitzte der Tischlerseppel in sein Holzbrett und ging damit zum Bürgermeister des Dorfes. Der hatte einen Schreiber angestellt, der auch rechnen konnte und der noch einigermaßen gut mit dem Tischlerseppel umging (zum Bürgermeister selbst traute sich der Tischlerseppel schon überhaupt nicht mehr – aber das hat mehr damit zu tun, dass dem Bürgermeister auch die Herberge gehörte und er immer sehr böse wurde, wenn der Tischlerseppel die Fremden, die in der Herberge nächtigten, auf der Dorfstraße beschimpfte). Der Schreiber rechnete dem Tischlerseppel dann den Preis für 6 Semmeln aus und der schnitzte diese Zahlen dann auf die andere Seite seines Brettes.

Nun konnte der Tischlerseppel zum Geldwechsler gehen und sein Geld eintauschen, so dass er den Betrag, den der Bäcker fordern würde, auch genau passend haben würde, denn sonst würde der Tischlerseppel ja nachrechnen müssen, ob das Wechselgeld stimmte. Auch der Geldwechsler war so eine Art Magier, der sehr schnell rechnen konnte. Aber dem hatte der Tischlerseppel einmal 8 Stühle getischlert. Und er hatte zwei davon schon vorher bezahlt, zwei, als der Tischlerseppel die ersten vier lieferte und dann noch einmal zwei, als alle Stühle fertig waren.

Also konnte er dem Geldwechsler vertrauen, denn nach Meinung des Tischlerseppel hatte der zu viel bezahlt, und er hatte das noch mal vom Schreiber und vom Bäcker nachrechnen lassen und die hatten ihm auf die Schulter geklopft und ihm Recht gegeben. Zurück zum Semmelkauf: mit dem ausgerechneten Preis und dem passenden Geld konnte der Tischlerseppel nun wieder zum Bäcker gehen und die 6 Semmeln einkaufen und bezahlen. Der Bäcker lobte ihn dann jedes Mal: "Wie schnell Ihr die Zahlen rechnen könnt, Seppel!", nahm das Geld und gab ihm die Tüte mit dem Gebäck.

Manchmal gab es Pannen bei diesem Geschehen: Einmal stolperte der Tischlerseppel unterwegs und er wusste nicht mehr, welche Seite des Brettes die mit dem Gesamtpreis war. Und der Bäcker schimpfte laut, als der Tischlerseppel nur das Geld für eine einzige Semmel hinlegte. Und ein anderes Mal schrie ihm die Pia hinterher, als er vom Geldwechsler zum Bäcker unterwegs war: "Meine Mutter kommt heute. Bring 9 Semmeln mit!" Und damit ging alles wieder von vorne los.

Die Pia schimpfte auch manchmal. Nicht, weil das so lange dauerte, denn sie schickte den Seppel ja schon mehr als zwei Stunden vor der Mahlzeit zum Einkauf, aber sehr oft murmelte sie etwas von "... das ganze schöne Geld beim Wirt versaufen ..." und der Tischlerseppel konnte sich wirklich nicht erklären, was sie damit meinte.
Aber ansonsten erfreute sich der Tischlerseppel an diesem Verfahren. Er musste nichts selbst machen, alle anderen merkten anscheinend nicht, dass sie für ihn die Arbeit erledigten. Trotzdem waren sie freundlich zu ihm (wenigstens meistens) und er hatte jeden Morgen einen schönen Spaziergang durch das Dorf.

Ja, der Schreiber und der Geldwechsler, das waren fast schon Magier, so schnell wie die rechnen konnten. Aber richtige Magier konnten auch andere Dinge: mit geheimnisvollen Formeln rechnen, statt mit Zahlen, erklären, welche Stoffe man mischen musste, um völlig neue Stoffe herzustellen, den Stand der Gestirne vorhersagen und viele viele verwunderliche Dinge mehr.

Irgendwann einmal hatte der Tischlerseppel darüber nachgedacht, ob diese Magier nicht einfach Menschen waren, die viel mehr gelernt hatten als er selbst und deshalb alles schneller und besser konnten. Aber dann schauderte ihm vor dem Wort "lernen", das gefiel ihm gar nicht. Nein, ihm reichte das aus, was ihm sein Tischlermeister ihm vor Jahren beigebracht hatte und das musste reichen, um zu beurteilen, was falsch und was richtig sei. Deshalb auch, weil so ein Tischlermeister seinem Lehrbuben gar nicht so viel zeigen kann als nur das Messen mit dem Zollstocke und das Absägen an der richtigen Stelle, war das Wissen des Tischlerseppel recht winzig zu nennen, was ihn aber nicht hinderte, zu allen Dingen seine Meinung dazuzusagen. Und am liebsten war es ihm, wenn er etwas nicht verstand, dann konnte er nämlich einfach behaupten es besser zu wissen und Beweise fordern, ohne dass er selbst sagen musste, was nun richtig sei.

Manchmal stellte der Tischlerseppel gescheiten Leuten Fragen, von denen er glaubte, die seien schwer zu beantworten und war sehr beleidigt, wenn er schnell ganz umfassende Antworten bekam, die er aber leider nicht verstand, weil diese Menschen sehr schnell dachten und rechneten. Aber er fand immer etwas in den Antworten, über das er sich wieder neu lustig machen konnte, weil er es nicht verstanden hatte.

All diese Gedanken, die sich so schön im Kreis drehten, beschäftigten den Tischlerseppel, bis es etwa Mittag war. Er liebte es, immer wieder die gleichen Gedanken stundenlang zu wiederholen und immer noch einmal zu denken, bis ... nun ja, eigentlich ganz ohne Bis.

Da kam der Förster über die Lichtung geschritten auf der Suche nach Wilddieben. Vom Tischlerseppel hatte er eine geteilte Meinung, aber für einen Wilddieb hielt er ihn nicht. Deshalb setzte er sich neben den Seppel und packte seine Brotzeit aus.

Nachdem er den hungrigen Blick des Tischlerseppel gesehen hatte, gab er ihm eine Schinkensemmel ab und sie unterhielten sich.

"Möchtest Du nicht mein Freund werden und mit mir Drachen fangen und dann durch eine erstaunliche Entdeckung, die ich Dir jetzt noch nicht verraten darf, berühmt werden?" fragte der Tischlerseppel rundheraus.

"Oh, danke!" sagte der Förster sogleich. "Ich möchte von Dir nicht so behandelt werden, wie die Drei, die Du Deine Freunde nennst, diese drei Alchemisten aus dem Ort Pinkenfelde."

"Ach, aber das sind doch meine Freunde." behauptete der Tischlerseppel. "Der eine hat mir sogar gezeigt, wie man mit einem Babydrachen fliegt und die anderen beiden haben mit so manche gute Geschichte über die Geheimnisse der verschiedenen Stoffe erzählt."

"Ja, und zum Dank dafür hast Du sie hereingelegt mit dieser Pferdegeschichte." brummte der Förster mißgelaunt.

"Nein, nein, ich habe niemanden hereingelegt." Der Tischlerseppel wurde fast schon böse. "Aber die Leute behaupten immer, man müsse Pferde mit Heu füttern, dabei finden die ihr Gras und anderes Futter ganz alleine da draußen. Ich habe bewiesen, dass es kein Heu in den Pferden gibt, dass sie es also auch nicht fressen. Und die drei Alchimisten haben mir das bestätigt."

"Ja, und jetzt lacht jeder über die drei, von Pinkenfelde bis hin zum Schloss unseres Königs kennt jeder die Geschichte, wie Du Ihnen ein Pferdegulasch serviert hast und dann gefragt, ob sie darin Heu entdeckt hätten."

"Ja, und sie haben bestätigt, dass kein Heu im Gulasch war und das ist der Beweis, dass Pferde kein Heu fressen und es auch nicht brauchen, um die Wagen besser zu ziehen."

"Siehst Du, genau darum geht es." sprach der Förster. "Du hast ihnen nicht erzählt, was Du beweisen willst, sondern ihnen einfach ein Gulasch vorgesetzt. Und jetzt lachen alle über die drei, weil sie sich von einem einfachen Tischlergesellen haben hereinlegen lassen."

"Aber ich konnte ihnen doch nicht erzählen, was ich beweisen will." beklagte sich der Tischlerseppel. "Dann hätten die doch was ganz anderes gesagt."

"Na eben. Selbst ich kann Dir bestätigen, dass meine zwei Pferde sehr gerne Heu fressen..."

"Das ist das was Du glaubst." unterbrach der Tischlerseppel grummelnd.

"... aber es interessiert Dich nicht, was jeder täglich beobachten kann. Statt dessen machst Du Deine Freunde, die so viel für Dich getan haben vor aller Welt lächerlich. Nur damit Du Deine komischen Ideen weiterspinnen kannst. Nein, von so einem wie Dir möchte ich nicht der Freund sein."

Der Tischlerseppel dachte gar nicht lange darüber nach, was der Förster ihm da eigentlich gesagt hatte. Er wollte Freunde, und das recht schnell.

"Aber ich könnte andere im Dorfe fragen, den Bäcker oder den Schreiber oder den Geldwechsler oder ..."

Der Förster lachte laut auf. "Na, das lass mal lieber sein. Und im Dorf solltest Du Dich eine Weile nicht sehen lassen. Als Dein Haus eingestürzt ist, hat es die vier Häuser in der Umgebung mit zerstört. Was immer Du da gemacht hast, es war gut, zu fliehen und eine Weile wegzubleiben vom Dorfe."

Der Tischlerseppel schaute überrascht. "Aber ich brauch doch ein paar Freunde ..." sagte der leise.

"Na, dann geh doch am Besten drei Berge weiter in den Wald hinein. Da wohnen die Zwerge und die Felsentrolle. Vielleicht kannst Du denen etwas von dem zu erwartenden Ruhm erzählen. Die fallen auf so was noch rein und helfen Dir vielleicht."

Nach diesem Rat hatte es der Förster eilig. Er schaute noch einmal ärgerlich auf die letzten Reste der Schinkensemmel, die er dummerweise verschenkt hatte, machte sich dann aber auf, um recht schnell eine große Entfernung zwischen sich und diesem seltsamen Menschen zu bringen.

Der Tischlerseppel aber brach auf in die andere Richtung. Drei Meilen schaffte er bis zu einer neuen Lichtung, wo er seine Gedanken wieder kreisen ließ.

Schließlich wurde er müde und legte sich unter einen schattigen Baum, wo er darüber nachdachte, wie er den Zauberer wohl wieder treffen würde. Wie war das noch? Er musste den Spiegel Nuhsgrub seinen eigenen Namen nennen, dass er sich mit dem Magier treffen wolle und den Namen des Zauberers. Aber wie sollte er den Namen nur herausbekommen?

Und ehe es sich der Tischlerseppel versah, träumte er schon wieder.

 
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