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Die zwei Spiegel

"AAAAAAHHHRRGGGGG!"

Der Tischlerseppel saß hellwach in seinem Bett. Aufgeschreckt aus einem wilden Traum! Er war gejagt, gehetzt worden, war geflüchtet vor der Bande der vier wilden Männer aus dem nördlichen Königreiche. Und gleichzeitig hatte er versucht, seine Frau, die Pia, einzuholen, die war vor ihm weggerannt, und sie war unerreichbar schnell gewesen. Und er wusste gar nicht genau, ob er vor den wilden Männern fortrannte, oder ob er der Pia hinterher rannte. Und dann war er plötzlich gegen diesen großen Magier mit dem langen grauen Bart gerannt. Und aufgewacht.
Vorsichtig bewegte sich der Tischlerseppel. Vorsicht! Nur nicht die Pia wecken, seine Frau, in der rechten Hälfte des Ehebettes. Er schaute nach ihr.

"AAAAAAHHHRRGGGGG!"

Das Bett war leer! Und richtig, die Pia hatte ihn ja vor Monaten schon verlassen, als er so erfolglos von seiner Reise zurückgekommen war. "Du bist mir der richtige Piefke!" hatte sie geschimpft, als er ihr von seinen Erlebnissen erzählt hatte. "Hat drei Wünsche frei, dieser Trottel, und wünscht sich eine Axt! Eine einzige Axt! Hättest dir einen Schmied, einen großen, starken, muskulösen Schmied wünschen sollen, der hätte dir jeden Monat eine neue Axt gemacht und zwischendurch hätte ich wenigstens auch etwas Spaß mit ihm gehabt. Aber nein, meine Superleuchte von Mann wünscht sich eine einzige Axt! Hast du eigentlich kein Hirn zum Denken?"

Sie war in Tränen ausgebrochen. "Und meinen Wunsch hast du natürlich vergessen!" klagte sie weiter. "Was ich von dir möchte, ist dir doch ganz egal. Aufgewacht vor dem dritten Wunsch behauptest du. Bist immer noch so ein lahmes Huhn wie vor Jahren. Wie viel Zeit brauchst du, um drei Sätze zu sagen? Immer den ganzen Sermon wiederholen, den dir andere vorher mal erzählt haben, tagelang rumgackern über jedes gelegte Ei, zwischendurch Witze machen und dich von jeder Kleinigkeit ablenken lassen. So wirst du dein Lebtag nichts erreichen. Ich hab's dir versprochen, dass ich dich verlassen werde. Und ich geh!"

Sprach's, packte den gesamten Hausrat in ihren Beutel und verschwand, nicht ohne die Tür ordentlich zuzudonnern.

"Aber Pia!" rief der Tischlerseppel. Aber sie hatte ihn wirklich verlassen, und sie hatte alles mitgenommen außer dem Bett und den zwei Spiegeln an der Wand.

Der Tischlerseppel hob den Kopf, um nach den Spiegeln zu sehen.

"AAAAAAHHHRRGGGGG!"

Da stand der große Magier mit dem langen grauen Bart am Fußende seines Bettes! Der aus dem Traum! Träumte er immer noch?

"Heh Tischlerseppel!" sprach er freundlich grinsend. "Es ist Zeit für den zweiten Teil des Märchens. Pack deine Sachen, damit du noch vor Sonnenaufgang auf die Reise gehen kannst."

"Kommt nicht in Frage!" wehrte sich der Tischlerseppel. "Ich bin alt und will nicht noch mal auf so eine Reise gehen. In anderen Märchen gehen immer die jungen Helden auf die Reise."

"Na, Tischlerseppel!" meinte der Magier. "Wir wissen ja, dass du kein Held bist. Und einen jungen Feigling auf die Reise schicken, das geht ja wohl nicht. Was soll denn das für ein Märchen werden? Lies die Überschrift, es ist der zweite Teil von deinem Märchen, also musst du auf die Reise gehen, niemand sonst."

"Nein, nein!" der Tischlerseppel wollte einfach nicht. "Denk doch dran, ich bin ein weiser Mann. Und weise Männer bestehen in den richtigen Geschichten keine Abenteuer, sondern geben kluge Ratschläge."

Hah, dachte der Tischlerseppel. Das war jetzt der Beweis!

"Ach was, weiser Mann! Was für ein Blödsinn!" rief der Zauberer. "Nur weil so ein billiger Schreiberling sein Märchen anfängt mit > Es war einmal ein weiser alter Mann <, muss das doch noch lange nicht richtig sein. Das ist doch kein Beweis deiner Weisheit."

"Versteh ich nicht" brummte der Tischlerseppel ohne zu ahnen, dass er damit die Aussage des Magiers bestätigte. "Das war doch ein ganz sicherer Beweis."

Der Magier setzte sich neben den Tischlerseppel auf das Bett und begann: "Schau Tischlerseppel. Dereinst, in vielen vielen Jahren werden die Menschen die Geschichten nicht mehr durch Erzähler von Mund zu Ohr weitergeben, sondern sie werden sich bewegte Bilder anschauen. Und wenn dann bei diesen bewegten Bildern Fehler gemacht werden, so wird man die Regiefehler nennen, und genau so einen Regiefehler hat der dumme Schreiberling gemacht, als er den ersten Teil des Märchens gemacht hat. Und Regiefehler sind für nichts ein Beweis, außer, dass der Erzähler oder der Regisseur was falsch gemacht haben. Und viele dumme Menschen, die die Bilder nicht verstehen, werden Regiefehler entdecken, die gar keine sind. Doch darüber können wir später lachen, denn die nennen dann Beweis, was gar keiner ist."

"Versteh ich auch nicht" brummte der Tischlerseppel wieder, dem der Kopf schwirrte vor so viel verschachtelter Logik. Aber das neue Wort gefiel ihm. "Regiefehler". Ein tolles Wort!

Er bewegte es in seinem Herzen und beschloss, es sich gut zu merken, damit er es in Zukunft tausendfach anwenden könne. Die sollten ihn noch kennen lernen! Von wegen: kein weiser Mann! Von wegen: Regiefehler sind keine Beweise! Die sollten ihn noch kennen lernen! Von wegen: Kein weiser Mann! Grummel, grummel.

"Also, lass uns über deine Aufgabe reden." unterbrach der Magier die kreisenden Gedanken des Tischlerseppel. "du sollst das Geheimnis des Mondes enthüllen. du hast dafür schon einige Jahre an Zeit vertrödelt, und du hast dafür die zwei Spiegel namens Flohrumm und Nuhsgrub bekommen, mit denen du das Wissen aller weisen Menschen dieser Welt erfragen kannst. Welche Ergebnisse hast du damit erzielt."

"Ach, die Spiegel." klagte der Tischlerseppel. "Da muss ich doch immer erst prüfen, ob die anderen auch klug und weise sind. Und ich muss ihnen Fallen stellen, damit sie ihre Klugheit zeigen können und ich dann weiß, ob sie nicht doch dumm sind. Und dann sind sie böse und machen Witze mit mir. Das geht doch nicht!"

"Oh Tischlerseppel! Wann wirst du es je lernen? Niemals, nicht wahr? Denn die Dummheit ist ja eine der negativen Eigenschaften, über die sich niemand beschwert, wenn er zuviel davon bekommen hat. So ist es doch auch bei dir, nicht wahr, Tischlerseppel?"

Der Magier machte eine kleine Pause. "Merke auf! Die Klugheit und Weisheit von anderen versuchen nur die zu messen, die selbst recht dumm sind. Den wahren Klugen und Weisen interessiert die Klugheit der anderen nicht, auch nicht, ob sie ausreicht, er erfreut sich einfach nur an dem Gespräch ..."

Der Magier stockte. Vor ihm saß der Tischlerseppel mit offenem Mund und seine Augen sagten deutlich: "Ich versteh kein Wort." Aber er sagte nach einer kleinen Weile: "Oh, ich glaube, das ist wie das Auslegen eines Köders beim Angeln. Das ist ein guter Trick, wenn ich nicht mehr weiß, was ich machen soll."

"Na gut," sagte der Magier und seufzte. "Erzähl mir ein paar Beispiele, die du mit den Spiegeln erlebt hast."

Sofort war der Tischlerseppel wieder da. "Ja!" rief er aus. "Da ist zum Beispiel der Ritter Bruhaha, der im Land der Barbaren nördlich von uns lebt, ganz nah beim Schloss seines Königs. Der spricht häufig über den Spiegel Nuhsgrub. Aber er macht immer nur Witze, dieser Kasper."

"Ja, den Ritter Bruhaha kenne ich." sagte der Magier mit dem langen grauen Bart. "Ein lustiger, wenn auch etwas zu dicker Mensch, der herzhaft lachen kann, weshalb er ja auch Bruhaha heißt."

Der Tischlerseppel staunte. "Aber über andere lachen geht doch so: tststststststsstsststssttt ..."

Der Magier zog sein großes rotes Taschentuch, um sein Gesicht wieder abzutrocknen. "Das ist das, was du glaubst." sagte er und der Tischlerseppel merkte sich auch diesen Satz wieder gut. "Was stört dich am Ritter Bruhaha?" fuhr der Magier fort.

"Nun, er nimmt meine Beweise nicht ernst. Erst kürzlich nannte er meine Ausführungen und Beweise ein >krankes Geschwurbsel<. Das geht doch nicht!"

"Warum nicht?" wollte der Magier fast schon fragen, aber er besann sich schnell und fragte statt dessen: "Und welche Ergebnisse hast du mit den beiden Spiegeln erreicht?"

"Ah" der Tischlerseppel richtete sich stolz auf. "Ich hab's den billigen Kreuzerbuben mehrmals so richtig gezeigt. Da hab ich denen mit dem Spiegel Nuhsgrub am Beispiel des Hufschmiedes gezeigt, dass man Dinge durch das Anblasen von Luft immer kühler machen kann. Aber die behaupten nach wie vor, dass Sternschnuppen verglühen und nicht kälter werden, wenn sie durch die eisige Atmosphäre sausen. Da hab ich's denen so richtig bewiesen, was richtig ist."

"Ah so" machte der Magier zweifelnd. "So siehst du das? Ich hatte eher den Eindruck, das war andersrum. Das Beispiel vom Drachen Konkort hat mir gefallen, der ja so schnell fliegt, dass ihn deine Stimme nicht mehr einholen kann, und der so warm dabei wird, dass er sogar ein wenig länger wird. Aber lassen wir dass, was hast du noch ähh... bewiesen?"

"Ja," strahlte der Tischlerseppel, "die Sache, dass man auf einem Feuerstrahle landen könne, die hab ich denen mit dem Spiegel Flohrumm auch gründlich widerlegt.

"Ach ja?" Der Magier mit dem langen grauen Bart wunderte sich immer mehr. "Bist du dir da auch ganz sicher? Dann muss ich das gleich meinem Drachen sagen, mit dem ich zu dir gekommen bin, der weiß das anscheinend noch gar nicht. Und den Zwergen, die sich öfter einen Babydrachen auf den Rücken schnallen um auf dessen Feuerstrahl zu reiten, sollten wir das auch schnellstens sagen, bevor da was passiert." Er schaute in die erstaunten Augen des Tischlerseppel. "Hör mal, Tischlerseppel, so ganz nebenbei: Kennst du eigentlich die Worte Ironie und Sarkasmus?"

"Häh?"

"Na gut, erzähl mir noch ein Beispiel."

"Ja, das beste ist," begann der Tischlerseppel jetzt wieder strahlend, "dass ich allen den belesenen Weisen, die sich mit den Sternen befassen und allen Zahlenmagiern und Alchemisten bewiesen habe, dass sie ihr Hirn nicht gebrauchen können und nicht einmal die einfachsten Widersprüche erkennen. Sie behaupten immer wieder Sachen, die gar nicht möglich sind."

"Beispiele?" forderte der Magier und gähnte herzhaft.

"Na, ich hab ja zum Beispiel nachgewiesen, dass in den Pferden kein Heu vorhanden ist und sie trotzdem Fuhrwerke ziehen, denn es gibt ja keinerlei Spuren von Heu im Pferdegulasch. Und dieser Trottel mit dem italienischen Namen, der glaubt man könne messen, wann man den Mond des Jupiters genau sehen könne. Oder die Sache mit der Bewegung der Planeten, wo man angeblich mit Quadrattagen rechnen können muss, ... aber hat da nicht die Hypia ..."

Der Tischlerseppel unterbrach sich zweifelnd, während der Magier wohl so müde war, dass er mit dem Gähnen gar nicht mehr aufhören konnte.

"Wie dem auch sei, Tischlerseppel," begann der Magier, nachdem es ihm gelungen war, den gähnenden Mund wieder zu schließen "ich habe den Auftrag, dir deine neuen Aufgaben zu sagen. Zuerst einmal ist es wichtig, das niemand weiß, dass du heute das Haus verlassen hast. Kannst du deine Spuren verbergen?"

"Na, das ist leicht!" strahlte der Tischlerseppel. "Ich geh einfach über den Steinweg, da sieht niemand meine Spuren. Oder ich geh rückwärts über den Sandweg, dann glaubt jeder, ich sei ins Haus gegangen und nicht raus. Oder ich nehm etwas Sand und streu ihn in meine Spuren, so dass die aufgefüllt sind. Oh, ich hab noch so viele Ideen, wie ich es machen kann, dass man meine Spuren nicht sieht!"

"Seltsam," grübelte der Magier, "warum behautest du dann ... ach, lassen wir das! Im Wald kennst du dich doch aus, oder?"

"Na klar! Schließlich heißt man mich doch den Tischlerseppel!"

"Nun gut, deine erste Aufgabe ist es, durch die Wälder und Berge deines Heimatlandes zu ziehen und drei Drachen zu finden. Von der Sorte, die ordentlich Feuer speien können. Einer muss sehr groß sein, die beiden anderen können eine mittlere Größe haben."

Der Tischlerseppel erschrak. "Und das traut Ihr mir zu? Dass ich drei Drachen fangen kann?"

"Also, das ist doch wohl leicht, Tischlerseppel. In allen anderen Märchen klappt das. Schneider bekämpfen Riesen, kleine Kinder besiegen böse Hexen, und ganz junge Ritter bringen Drachen um. Kein Problem, auch dies ist ein Märchen und deshalb wirst du es schaffen. Die drei Drachen bringst du dann an einen geheimen Ort, den der Spiegel Nuhsgrub dir offenbaren wird und dort werden wir uns wieder treffen und den Rest deiner Aufgabe besprechen."

"Ach, kannst du mir nicht heute schon etwas verraten?"

"Das geht leider nicht. Oder vielleicht so viel schon jetzt: die gute Fee Hypia ist gefangen worden. Wir wissen nicht, ob von den Barbaren im Norden oder von dem geheimnisvollen sehr fremden Stamm der Aliennen. Auf jeden Fall hat man sie weit weit weg von hier gebracht, an einen Ort, der auch dich sehr interessieren wird, weil du dort viele viele Antworten bekommen wirst."

"Ach ja? Gib noch einen Hinweis, bitte, bitte!"

"Nun gut!" begann der große Magier mit dem langen grauen Bart. "Eines will ich dir noch sagen. Pass gut auf!"

Der Magier machte eine lange, magisch geheimnisvolle Pause.

"Du wirst zum Mond reisen, mein lieber Tischlerseppel!"

"AAA....."

 
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